875 Jahre Unterkochen - Neues aus der Ortsgeschichte Teil 4 -

„Dass zum Zwecke Wasser fließe“ - Die Unterkochener Brunnen im 19. und 20. Jahrhundert

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Viele ältere Bürgerinnen und Bürger wissen heute noch, wo früher in Unterkochen Brunnen standen. Wann genau die Becken, Tröge und Laufröhren abgebaut wurden, ist allerdings kaum noch in Erinnerung. Ebenso wenig weiß man heute noch Genaueres über die Diskussionen im Gemeinderat ab 1953, bei denen es darum ging, ob die Jahrhunderte alte Trinkwasserversorgung für schlechte Zeiten erhalten bleiben oder sich zum reinen Dorfschmuck verwandeln sollte. Ortsverwaltung und Teile der Bürgerschaft vertraten dabei durchaus unterschiedliche Standpunkte und handelten entsprechend. So entstand der neue Bühlbrunnen 1964, von privater Seite finanziert und als Dorfschmuck gedacht. Der Vergleich mit einem Vorfall im Jahr 1813 macht deutlich, wie sich der Lebensstandard in Unterkochen und die Einstellung zum Dorfleben über drei Generationen verändert haben. Im Oktober 1953 beschäftigte sich der Unterkochener Gemeinderat noch mit der Frage, ob nicht auch der Dorfbrunnen beim neu gestalteten Schuhhaus Klingenmaier erneuert werden sollte, um gegen Trinkwassermangel gerüstet zu sein. Nur 7 Jahre später hatte das Gremium über die Empfehlung des Verwaltungsausschusses zu beraten, alle nicht mehr betriebsfähigen Brunnen im Dorf abzubrechen. Am 5. April 1960 wurden der Dorfbrunnen an der „Krone“, der Brunnen beim Schuhhaus Klingenmaier sowie der Trog in der Zehntscheuergasse entfernt. Der Brunnen in der Hauptstraße erhielt noch eine Galgenfrist. Über die Anlagen in der Bühlgasse, in der Waldhäuser- und Brunnenstraße sowie am Kocherweg „wollte man zu gegebener Zeit entscheiden“. Dies bedeutete: man wartete ab, bis die Betriebsfähigkeit nicht mehr sichergestellt werden konnte, um dann abzubrechen. Für den deutlichen Einstellungswandel der Gemeinderäte gegenüber den Brunnen gab es verschiedene Gründe. So erwiesen sich die alten Stöcke und Tröge für den Ausbaus der Gehwege im Dorfkern zunehmend als Verkehrshindernis. Eine erneute Inbetriebnahme der Brunnen, die auch den neuen Standards der bakteriologischen Untersuchungen genügte, war außerdem sehr kostspielig. Schließlich gefiel dem Gemeinderat immer weniger, dass viele PKW-Besitzer das Brunnenwasser zur Autowäsche nutzten. Wenn dies auch nachvollziehbare Argumente waren, so störte sich doch mancher Dorfbewohner an der ungewohnten „Lücke“, wenn der Brunnenkasten erst einmal abgebaut war. Die Eheleute Franz Xaver Brenner stellten daher 1964 den Platz für den neuen Brühlbrunnen am Bahnübergang zur Verfügung, nachdem der alte Brunnen vor Ihrem Haus hatte weichen müssen. Durch die hochherzige Spende von Frau Berta Wöhr, der Witwe des Ehrenbürgers Philipp Wöhr, erhielt die neue Anlage eine künstlerische Aufwertung. Die Plastik des Heidenheimer Künstlers Fränklin Pühn versinnbildlichte den Zusammenfluss des Weißen und Schwarzen Kochers. Oberstudiendirektor Rothweiler schrieb im Kocherburgboten zur Einweihung am 26. Juli 1964, der neue Brunnen führe „das alte, verträumte Unterkochen des letzten Jahrhunderts“ vor Augen und ermahne die „gehetzten Bewohner unserer Zeit stets an die damalige Ruhe und Gelassenheit“ im Dorf. Etwas mehr als 150 Jahre zurückgerechnet, hätte wohl kein Einwohner von Unterkochen diese Nostalgie verstanden. Im Jahr 1812 hatten die Brunnen nur die Aufgabe, den Menschen brauchbares Trinkwasser zu liefern. Es wurde mit Hilfe längs gebohrter Tannenstämme, sogenannten Teucheln, von der Quelle am Fuß des Heulenbergs zu den Trögen geleitet. Der Hauptstrang der Holzleitung verlief entlang der heutigen Waldhäuser Straße und endete in den drei Brunnen des damaligen Kameralamtes (heute: „Stern“). Die Finanzbeamten des Königs waren sehr erstaunt, als im Spätsommer des Jahres 1812 kein Wasser mehr in den Trögen ankam. Nachforschungen ergaben, dass der für die Finanzverwaltung der Gemeinde zuständige Bürgermeister (= Gemeindepfleger) Hefele für einen Privatbrunnen in seinem Haus vor dem heutigen Kirchgässle die Hauptleitung angezapft hatte. Mit dem Geld aus der Gemeindekasse waren auf seine Anordnung zwar weitere Quellen am Heulenberg gefasst worden. Die Leitung bis zum Kameralamt hatte er jedoch belassen, was auf Dauer zu Problemen führen musste. Der Behauptung Hefeles, er habe für den Bau bereits im Jahre 1806 von der Gemeinde die Genehmigung für seinen Brunnenbau erhalten, widersprachen alle Behörden aufs Entschiedenste. Die teuren Teucheln wieder herauszureißen kam aber auch nicht in Frage. So blieb nichts anderes übrig, als die Leitung zwischen dem Brunnenkasten vor Hefeles Haus und dem Kameralamt neu zu verlegen. Die Bevölkerung im unteren Dorf war auf diese Wasserstelle angewiesen. Von den 244 Gulden Baukosten hatte Bürgermeister Hefele ein Viertel zu übernehmen. Für seine „Eigenmächtigkeit“ wurde er jedoch nicht weiter zur Verantwortung gezogen. Schließlich erkannte der Gemeinderat auch den Nutzen der neuen Wasserleitung für die Dorfgemeinschaft an. Weitere Baukosten in Höhe von 204 Gulden übernahm die Gemeinde Unterkochen im Jahre 1817, um in der späteren Bühlgasse (heute: Knöcklingstraße) vor dem Haus des Maurermeisters Georg Fetzer einen neuen Rohrbrunnen anzulegen. Die Quellfassung lag hinter der alten Ziegelhütte am Knöckling. Im Jahr 1964 bestand auch dieser Laufbrunnen noch. Wie die übrigen Reste der alten Trinkwasseranlagen inspirierte er Oberstudiendirektor Rothweiler dazu, eine Dorfidylle zu beschwören, die so niemals existiert hat. Längst floss auch in Unterkochen das kostbare Nass aus Wasserhähnen in die Badewannen, Küchen und Waschmaschinen. Die Angst vor Wassermangel und die Mühen des Wasserschleppens waren bei den meisten Einwohnern schon in Vergessenheit geraten. Dr. Roland Schurig
© Stadt Aalen, 09.08.2011